Farbenlehre: Der Fall Goethe vs. Newton und seine Bedeutung heute


Farbenlehre: Der Fall Goethe vs. Newton und seine Bedeutung heute
01.05.2013
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Mit einem Blick in die Schulbücher scheint die Sache klar zu sein: Die Farbenlehre des ansonsten hochverehrten J. W. von Goethe ist ein unwissenschaftlicher Ausrutscher – auch wenn der Autor selbst diese 30-jährige Arbeit als seine Bedeutsamste, seine Dichtkunst im Vergleich eher mittelmäßig einstuft. Aus heutiger, erweiterter Sicht macht es jedoch durchaus Sinn, sich als Gestalter nicht nur mit diesem Werke Goethes zu beschäftigen, sondern auch mit seiner wissenschaftlichen Methodik, der Phänomenologie.

Kein Geringerer als Werner Heisenberg war es, der in seinen 1959 unter dem Titel ›Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft‹ erschienenen Vorträgen in dem Beitrag ›Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik‹ zunächst den geistesgeschichtlichen Zusammenhang von Newton einordnet. Heisenberg schreibt hierzu: ›Durch die Vorstellung, dass unsere Sinne nur unvollkommene Hilfsmittel bilden, um die objektive Welt zu erkennen, wurde die Naturwissenschaft dazu bestimmt, sich von der Sinneswelt immer weiter zu entfernen [96]… Dieser Verzicht auf Lebendigkeit und Unmittelbarkeit, der die Voraussetzung war für die Fortschritte der Naturwissenschaft seit Newton, bildet auch den eigentlichen Grund für den erbitterten Kampf, den Goethe gegen die physikalische Optik Newtons in seiner Farbenlehre geführt hat‹ [20]. Mit der modernen Physik jedoch, so Heisenberg ist ›der Glaube an einen objektiven, von jeder Beobachtung unabhängigen Ablauf von Ereignissen … angegriffen [47]. Es scheint immer von der Art unserer Frage abzuhängen, wie sich die Welt darstellt und erklärt, die Vorstellung an die Existenz einer objektiven und unveränderbaren Welt außerhalb des Menschen dagegen durch die Erkenntnisse der neuen Physik kaum haltbar.

Für Goethe war klar, daß das, was wir mittels Apparaten beobachten (in dem Falle das Prisma von Newton), nicht mehr die Natur selber ist, sondern durch diese Methode aus der Fülle der Erscheinungen und Möglichkeiten ein endlich abgeschlossener Bereich als scheinbare ›Wirklichkeit‹ ausgesondert wird. Er setzte daher auf die reine Phänomenologie, wie sich eine Erscheinung den menschlichen Sinnen unverstellt zeigt. Für das Phänomen Farbe und deren Wirkungsweise stellen sich hier neue Fragen. Wenn wir feststellen, dass die Einteilung in eine subjektive und eine objektive Welt allenfalls als grobe Vereinfachung, keinesfalls jedoch als Wirklichkeit angesehen werden kann [Heisenberg 1959, 104], ist ein kausaler Wirkungszusammenhang von Farbe nur bedingt gegeben. Müssen wir daher Schopenhauer (und den Modellen einiger Hirnforschern) folgen, für die sich das Phänomen Farbe allen Wirkzusammenhängen entzieht, da das Ereignis ausschließlich im Kopf des Empfängers stattfindet?

Olaf Breidbach schreibt in seinem Beitrag ›Zum Verhältnis von Goethe und Newton‹ zur Ausstellung der TU Dresden ›color continuo‹, 2010: ›Hier interessiert der Versuch Goethes, die Natur nicht als Objekt gegen das Subjekt zu setzen, sondern die Natur in einer umfassenden Ästhetik, das heißt, als Erfahrung des Subjektes zu beschreiben, wobei diese Natur dann – in diesem Erfahren – die ihr eigene Gestalt findet … Es ist das Auge, das sich in der Qualität seines Empfindens im Regenbogen entdeckt, und es ist der Regenbogen, der diesem Auge seine Natur vermittelt‹ [2010, 48].

Das Phänomen der Farbe (oder anderer gestalterischer Mittel) wird vom Empfänger also erst durch diesen vervollständigt. Aus dieser Sichtweise ist Kommunikationsgestaltung nicht ein linearer, kausaler Prozess von einem kreativ-tätigen Sender zu einem passiv-unbeteiligten Empfänger, sondern dieser wird, quasi in einem zweiten Schöpfungsakt, Mitgestalter.



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